Gegen das Vergessen; nie wieder!

Veröffentlicht am 11.09.2014 in Allgemein

Reimut Schmitt (Berlin)

Es wird schlimmer (Teil 2)

Die Besucher der ehemaligen Vernichtungslager Belzec, Sobibór und Treblinka (deren Zahl wesentlich geringer ist als die der Besucher von Auschwitz) sind in der Regel verblüfft darüber, wie klein diese Vernichtungslager waren. In diesen drei Lagern wurden insgesamt 1,7 Millionen Menschen vergast – 600000 mehr als in Auschwitz -, und dennoch hätten sich alle drei bequem auf dem Gelände von Auschwitz-Birkenau unterbringen lassen, und es wäre immer noch Platz übriggeblieben.

Bei einem Massenmord, der auf fast jeder Ebene eine Verletzung der Menschenwürde darstellt, liegt eine der größten Kränkungen darin – und das kann wahrscheinlich nur jemand verstehen, der einmal selbst dort gewesen ist -, dass so viele Menschen auf einer so kleinen Fläche umgebracht wurden. Irgendwie verbindet unser Denken eine Tragödie von derart monumentalen Ausmaßen mit einem monumentalen Raum – vielleicht ein weiterer Grund, warum Auschwitz heute so viel bekannter ist als diese drei Vernichtungslager. Die große Ausdehnung von Birkenau lässt dem Denken Raum bei dem Versuch, sich eine Vorstellung von der Monstrosität des Verbrechens zu machen, etwas, das den Besuchern eines Orts wie Belzec verweigert wird. Wie kann sich unser Gehirn vorstellen, dass 600000 Menschen, die geschätzte Zahl der hier Ermordeten, auf einer Fläche von weniger als 300 mal 300 Metern umgebracht wurden?

Und auf diesem relativ kleinen Gelände waren nicht nur ein, sondern zwei Lager untergebracht. Wirth wusste, dass der reibungslose Ablauf seiner Todesfabrik wesentlich davon abhing, dass den Neuankömmlingen der wahre Zweck des Lagers möglichst lange verborgen blieb. Deshalb brachte er die Gaskammer in einem eigenen, umzäunten Bereich des Lagers unter, das sogenannte Lager 2, versteckt hinter Bäumen und mit Zweigen begrünten Drahtzäunen. Dieser Bereich war mit dem übrigen Lager nur durch den „Schlauch“ zu erreichen, ein Durchgang durch den elektrisch geladenen Zahn. Lager 1 – der übrige Teil von Belzec – bestand aus dem Aufnahmebereich neben den Schienen, mehreren Baracken (in denen die Neuankömmlinge sich auszogen und wo ihre Habe gelagert werden konnte, bevor sie abtransportiert wurde) und einem Appellplatz.

In Belzec und anschließend in den beiden anderen Vernichtungslagern arbeiteten drei Kategorien von Menschen. Die erste bestand aus Juden. Wirth hatte schnell erkannt, dass der Einsatz von Juden bei dem Tötungsprozess nicht nur seinen Männern eine psychische Belastung ersparen würde, sondern auch bedeutete, dass für den Betrieb des Lagers weniger Deutsche benötigt würden. So wurden einige hundert arbeitsfähige Juden aus den ankommenden Transporten ausgesucht und mussten die Leichen beerdigen, die Gaskammern reinigen und die riesigen Mengen an Kleidern und anderen Habseligkeiten sortieren, die sich rasch in dem Lager anhäuften. In der ersten Zeit wurden diese Juden bereits nach wenigen Tagen selbst getötet, doch das brachte für die SS-Besatzung bald Probleme mit sich. Nicht nur, dass man diese Arbeitskräfte nicht mehr über den wahren Zweck der Duschräume täuschen konnte, wenn man sie dorthin schickte, sondern nach ihrer Ermordung mussten neue Arbeitskräfte ausgesucht und eingearbeitet werden. Wenn man sie andererseits länger am Leben ließ, hatte man es mit einer eigenen Gruppe von Häftlingen zu tun, die nichts zu verlieren hatten, da sie wussten, dass sie irgendwann einmal selbst umgebracht würden. Sie hatten also Zeit, über ihr Schicksal und über Möglichkeiten eines Widerstands nachzudenken. An diesem Dilemma für die Lager-SS ließ sich nichts ändern: Wie überwacht man Menschen, die wissen, dass sie eines Tages von den Menschen getötet werden, in deren Macht sie sich befinden?

Die zweite Kategorie von Arbeitern waren ukrainische Kriegsgefangene („Trawnikis“). Etwa 100 von ihnen, aufgeteilt in zwei Züge, mussten einfache Aufsichtsfunktionen im Lager übernehmen. Berüchtigt für ihre Brutalität, hatten viele dieser Ukrainer früher in der Roten Armee gekämpft, waren von der SS in einem Lage in Trawniki, südöstlich von Lublin, ausgebildet worden und konnten auf diese Weise den entsetzlichen Bedingungen der Kriegsgefangenenlager entkommen. Und dann gab es natürlich noch die Deutschen, die dritte Kategorie. Doch Wirth hatte den Betrieb seiner Todesfabrik so elegant an „fremdvölkische“ Arbeiter delegiert, dass nur etwa 20 deutsche SS-Männer zur Bedienung der Tötungsmaschine in Belzec erforderlich waren. Bis zum März 1942, mit der Ankunft des ersten Transports in Belzec, hatte Wirth den Traum Himmlers verwirklicht. Er hatte ein Vernichtungslager errichtet, das es ermöglichet, Hunderttausende Juden zu ermorden, und das von einer Handvoll Deutschen geführt werden konnte, die jetzt nicht mehr den seelischen Belastungen ausgesetzt waren, unter denen die Erschießungskommandos im Osten gelitten hatten.

Im selben Monat, in dem das Lager Belzerc seinen Betrieb aufnahm, im März 1942, begannen die Deutschen mit der Errichtung eines weiteren Vernichtungslagers: Sobibór, unmittelbar nördlich von Belzec, aber ebenfalls im östlichen Polen. Die Anlage und der Betrieb des Lagers Sobibór folgte dem Vorbild Belzecs. Ebenso wir Wirth hatten auch Franz Stangl, der Kommandant dieses Lagers, und die meisten der dort eingesetzten SS-Männer an der Aktion T4 mitgewirkt. Und ebenso wie in Belzec waren dort rund 100 Trawnikis, die meisten wiederum ehemalige Kriegsgefangene, als Lagerwachen eingesetzt. Auch diese Lager war winzig im Vergleich zu Auschwitz-Birkenau (wenngleich es mit einer Fläche von 400 mal 600 Metern mehr als doppelt so groß war wie Belzec) und ursprünglich ebenso wir Belzec in zwei innere Lager aufgeteilt, eine Aufnahmezone und eine Vernichtungszone, untereinander verbunden durch einen Korridor („Schlauch“). Da die SS-Männer jedoch nicht wie in Belzec in konfiszierten Häusern der Umgebung untergebracht werden konnten, wurde ein drittes Lager mit Unterkünften für die SS und die Trawnikis geschaffen.

Die Überlegungen hinter dieser Anlage von Sobibór waren dieselben wie bei Belzec. Die Neuankömmlinge sollten den Eindruck haben, es handle sich um einen Zwischenaufenthalt zur Desinfektion, und man werde sie präventiv gegen mögliche Krankheiten behandeln, und sollten anschließend möglichst schnell durch den Korridor in die Gaskammern getrieben werden. Ebenso wie in Belzec waren die drei Bereiche innerhalb des Gesamtlagers durch Flechtzäune voneinander getrennt, so dass die Ankommenden das Schicksal, das sie erwartete, erst ahnen konnten, wenn es zu spät war. Der erste Transport kam im Mai 1942 in Sobibór an, und hier wurden im Lauf von etwas mehr als einem Jahr eine Viertelmillion Menschen ermordet.

 

1) Franz Paul Stangl (* 26. März 1908 in Altmünster; † 28. Juni 1971 in Düsseldorf) war ein österreichischer Verwaltungsleiter in der NS-Tötungsanstalt Hartheim und der NS-Tötungsanstalt Bernburg sowie Lagerkommandant derVernichtungslager Sobibor und Treblinka. Als SS-Mitglied internierte ihn das US-Militär 1945 im Lager Glasenbach, wobei zu diesem Zeitpunkt von seiner Rolle in den Vernichtungsstätten noch nichts bekannt war. Nach zweieinhalb Jahren übergab man Stangl 1947 an Österreich, wo er in Linz auf Grund seiner Beteiligung an der „Aktion T4“ in Untersuchungshaft kam. 1948 begann in Linz der Hartheim-Prozess. Als Stangl von seiner Frau erfuhr, dass ein ehemaliger Fahrer des Hartheim-Personals zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde, floh er am 30. Mai 1948 auf Drängen seiner Frau mit Gustav Wagner aus dem mehr oder weniger offenen Untersuchungsgefängnis. Bei seiner Flucht nutzte er zu Fuß eine der Rattenlinien über Graz, Meran und Florenz nach Rom. Bischof Alois Hudal besorgte ihm einen Pass des Roten Kreuzes und ein Visum. Stangl gelang es, 1948 nach Syrien zu entkommen. Er war in Damaskus in einer ihm von Hudal vermittelten Firma als Weber, ab Dezember 1949 als Maschinentechniker bei der „Imperial Knitting Company“ tätig. Im Mai 1949 ließ er seine Familie nachkommen. 1951 emigrierten die Stangls nach São Paulo in Brasilien, wo er zunächst wiederum als Weber in der brasilianischen Textilfirma Sutema und später als Ingenieur arbeitete. Bereits zwei Monate nach ihrer Ankunft in Brasilien bauten sich die Stangls ein kleines Haus in São Bernardo do Campo. Frau Theresa Stangl fand Arbeit in der Buchhaltung bei Mercedes-Benz. Ein Arbeitskollege konnte ihrem Mann im Oktober 1959 eine Stelle bei Volkswagen do Brasil vermitteln. 1965 bezogen die Stangls dann ein neues größeres Haus im Stadtteil Brooklin von São Paulo und lebten dort, angemeldet beim österreichischen Konsulat, unter ihrem richtigen Namen. Erst 1961 erschien Stangls Name auf der Fahndungsliste der österreichischen Kriminalpolizei, obwohl man wusste, dass er für den Tod von nahezu einer Million Menschen mitverantwortlich war. Auf Betreiben von Simon Wiesenthal verhafteten die brasilianischen Behörden Stangl am 28. Februar 1967. Daraufhin erfolgte am 23. Juni 1967 die Auslieferung an die Bundesrepublik Deutschland. Der Prozess begann am 13. Mai 1970. DasLandgericht Düsseldorf verurteilte ihn am 22. Dezember 1970 in einem der Treblinka-Prozesse wegen gemeinschaftlichen Mordes an mindestens 400.000 Juden zu lebenslanger Haft. Stangl legte gegen das Urteil Revision ein, verstarb jedoch am 28. Juni 1971 in der Haftanstalt an Herzversagen.

Quelle: Laurence Rees „Auschwitz – Geschichte eines Verbrechens“ und Wikipedia

 
 

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