Gegen das Vergessen; nie wieder!

Veröffentlicht am 23.09.2013 in Allgemein

Reimut Schmitt (Berlin)

Ferne „Endaufnahmeplätze“ (Teil 1)

Am 3. September 1941 meldete sich Rolf-Heinz Höppner1) wieder bei Eichmann. Er schickte ein fünfzehnseitiges Memorandum zur „Organisation der Umwandererzentralstelle (UWZ)“ und entwickelte darin Vorstellungen, wie die neuen riesenhaften, bis weit in die Sowjetunion reichenden Vertreibungsvorhaben verwaltungstechnisch bewältigt werden könnten.

Wie sich aus dem Anschreiben ergibt, hatte Eichmann eine solche Stellungnahem mündlich angefordert. Außerdem hatte Höppner seine „Grundgedanken“ mit dem Leiter der UWZ-Außenstelle in Lodz, Krumey2), „eingehend durchgesprochen“, um sicherzustellen, dass „die Erfahrungen der Praxis tatsächlich darin enthalten“ seien. Die Planungsskizze schickte Höppner auch an seinen zweiten Vorgesetzten im RSHA (Reichsicherheitshauptamt), Hans Ehlich3), den er immer dann einbezog, wenn es nicht allein um die Juden, sondern um die Fremdvölkischen insgesamt, also auch um Fragen der sogenannten rassischen Auslese ging.

„Nach Schluss des Krieges“, so schrieb Höppner einleitend, „wird in den verschiedenen, neu zu Deutschland gekommenen Gebietsteilen in starkem Maße eine Aussiedlung von für das Großdeutsche Reich unerwünschten Bevölkerungsteilen stattfinden müssen. Es handelt sich dabei nicht nur um die endgültige Lösung der Judenfrage, die außer dem Großdeutschen Reich alle unter deutschem Einfluss stehenden Staaten erfassen wird, sondern vor allem um die Aussiedlung von rassisch nicht rückdeutschungsfähigen (welch ein Wort!) Angehörigen vor allem der Ost- und Südost-Völker aus dem deutschen Siedlungsraum, Diese Aufgabe gehört zur Zuständigkeit des Reichsführers-SS als Reichkommissar für die Festigung deutschen Volkstums und muss von diesem, da sie im wesentlichen sicherheitspolizeilicher Art ist, wie bisher dem Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes übertragen werden.“
Nach einem beiliegenden Organogramm schlug Höppner vor, Außenstellen der UWZ im Generalgouvernement4) und im Protektorat5) zu errichten, ebenso in den verschiedenen Reichskommissariaten, in die die Sowjetunion zergliedert wurde und weiter zergliedert werden sollte. Kurz: Er beabsichtigt, „eine straff und gleichmäßig durchorganisierte Dienststelle einzurichten“. Sie sollte in all jenen „Gebieten“ Außenstellen errichten, „aus denen fremdvölkische Elemente abfließen, und in denen sie wieder angesetzt werden“ – „zweckmäßigerweise“ immer dort, „wo der Menschenumschlag stattfindet, wo Lager errichtet werden, die Transporte abgefertigt werden müssen“.

Nachdem Höppner die Organisation und die bürokratischen Einzelheiten einer künftigen Umwandererzentralstelle nach dem in Posen und Lodz entwickelten Vorbild auf mehreren Seiten dargestellt hatte, schränkte er abschließend ein: „Die von mir hierzu vertretenen Gedanken müssen Stückwerk sein, da ich die Absichten des Führers und des Reichsführers SS, sowie des Chefs der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes über die Ausgestaltung dieser Gebiete nicht kenne. Ich könnte mir vorstellen, dass man zur Aufnahme der im großdeutschen Siedlungsraum unerwünschten Volksteile große Räume im jetzigen Sowjetrussland bereitstellt, die vollständig der Verwaltung des Chefs der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, zumindest aber der des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei unterstehen. Ich stelle mir vor, dass an der Spitze eines solchen Gebiets ein SS- und Polizeiführer steht, der zur Durchführung seiner Aufgaben über einen Stab verfügt, der etwa dem eines Militärbefehlshabers in besetzten Gebieten ähnelt. Im übrigen könnte die Verwaltung dieser Gebiete weitgehend durch Angehörige der umgesiedelten Volksteile selbst erfolgen. Ebenso wäre es unter Umständen zweckmäßig, als Wirtschaftsreferenten zum Stab des SS- und Polizeiführers einen Mann zu nehmen, der vom Vierjahresplan abgeordnet ist.“

Höppners Memorandum zur weiteren Umsiedlungspolitik, das er auf Anforderung Eichmanns verfasste, korrespondiert zweifelsohne mit ähnlichen Überlegungen, die in der Planungsabteilung des RKF (Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums) damals zum Generalplan Ost angestellt wurden und die teilweise überliefert sind. Die Grundgedanken Höppners finden sich auch in einer Aufzeichnung des SS-Sturmbannführers und Legationsrats Carltheo Zeitschel6) vom 21. August. Der notierte für seinen Vorgesetzten Botschafter Abetz in Paris zur „Lösung des Judenproblems in ganz Europa“:

„Diese sechs Millionen (in der Sowjetunion ansässigen) Juden müsste man sowieso bei der Neuordnung des Ostraums irgenwie zusammenfassen und voraussichtlich doch ein gesondertes Territorium für sie abgegrenzt werden. Es dürfte bei dieser Gelegenheit kein allzugroßes Problem sein, wenn aus allen übrigen europäischen Staaten die Juden noch hinzukommen und auch die z.T. in Warschau, Litzmannstadt, Lublin usw. in Ghettos zusammengepferchten Juden auch dorthin abgeschoben werden. Wir könnten dann Europa in kürzester Zeit judenfrei haben.“ Anders als Höppner und Eichmann vertrat Zeitschel, der allerdings über keinerlei praktische Umsiedlungserfahrung verfügte, die Meinung: „Das Transportproblem der Juden in die Ostgebiete würde selbst während des Krieges durchzuführen sein.“ Er schlug vor, das Thema mit dem „Minister für die Ostgebiete, Reichsleiter Rosenberg“ und mit Himmler zu erörtern, auch wäre Göring „diese Idee nahezubringen, da er „zur Zeit gerade für das Judenproblem sehr empfänglich“ sei.

1) Rolf-Heinz Höppner wurde im Juli 1945 in der Nähe von Flensburg festgenommen. Er trat als Zeuge der Verteidigung im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher auf, um die Verantwortlichkeit des Reichssicherheitshauptamtes für die Mordtaten derEinsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD in Abrede zu stellen. Höppner wurde 1947 nach Polen ausgeliefert und angeblich am 15. März 1949 zum Tode verurteilt. Nach anderen Angaben wurde Höppner in Posen zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Zuge der polnischen großen Amnestie nach dem Oktober 1956 kam Höppner danach Anfang 1957 frei, arbeitete als Oberregierungsrat im Wohnungsbauministerium und lebte später unbehelligt in einem Kölner Altersheim.

2) Hermann Alois Krumey (* 18. April 1905,† 27. November 1981) war ein deutscher SS-Führer, der während des Zweiten Weltkriegs zentral an der Vernichtung der Judenbeteiligt war. Als Leiter der Umwandererzentralstelle (UWZ) koordinierte Krumey von 1940 bis 1943 die Vertreibung von Polen aus den vom Deutschen Reich annektierten Gebieten Wartheland, Danzig-Westpreußen und Ostoberschlesien. Als leitender Mitarbeiter im Sondereinsatzkommando Eichmann organisierte er 1944 als Stellvertreter Eichmanns die Deportation der ungarischen Juden in dieVernichtungslager. Krumey wurde 1969 von deutschen Gerichten wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Urteil hatte im Kontext der juristischen Aufarbeitung der NS-Taten in der Bundesrepublik durch die Art des Schuldspruchs (Verurteilung wegen Mord und nicht wegen Beihilfe zu Mord bei einem Schreibtischtäter) und die Höhe des Strafmaßes einen „deutlichen Ausnahmecharakter“.
Im Mai 1945 wurde Krumey in Italien von den Alliierten festgenommen, aber auf Basis einer Aussage des Ungarn Rudolf Kasztner wieder freigelassen. Kasztner hatte auf jüdischer Seite an den Verhandlungen zu den 21.000 ungarischen Juden teilgenommen. Krumey ging nach Deutschland, wo ihn eine Spruchkammer im Entnazifizierungsverfahren als „Mitläufer“ einstufte. Als Heimatvertriebener erhielt er einen Kredit über 12.000 DM und betrieb im hessischen Korbach eine eigene Drogerie. Er war Abgeordneter des Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) im Kreistag von Korbach und Kreisobmann in der sudetendeutschen Landsmannschaft.

Im April 1957 wurde Krumey erstmals festgenommen, jedoch im Juni 1957 mangels Fluchtverdacht wieder freigelassen. Nach Aussagen von Adolf Eichmann im Eichmann-Prozess begann die Strafverfolgung 1960 erneut. Am 24. Mai 1960 wurde Krumey festgenommen und verblieb bis zu seiner ersten Verurteilung 1965 in Untersuchungshaft. Das Strafverfahren wurde gemeinsam gegen Krumey und Otto Hunsche wegen „Gemeinschaftlichen Mord in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen“ geführt, und wurde als Krumey-Hunsche-Prozess bekannt.

Nach neunmonatiger Verhandlung verurteilte das Landgericht Frankfurt am Main Krumey im Februar 1965 wegen Beihilfe zum Mord an den ungarischen Juden zu fünf Jahren Zuchthaus. Durch Verrechnung der Haftstrafe mit seiner bereits in Untersuchungshaft verbrachten Zeit kam Krumey frei. Sowohl Staatsanwaltschaft und Verteidigung gingen in Revision, die der BGH durch Aufhebung des Urteils entschied. Das Verfahren wurde an das LG zurückverwiesen, die Empfehlung lautete, das Strafmaß für Krumey zu erhöhen. Im August 1969 wurde Krumey daraufhin zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Januar 1973 wurde die durch Krumey erneut eingelegte Revision vom BGH verworfen, so dass das Urteil rechtskräftig wurde.
Er wurde (wann?) vor seinem Tod aus Krankheitsgründen aus der Haft entlassen.

3) Hans Ehlich (* 1. Juli 1901; † 30. März 1991) war im nationalsozialistischen Deutschen Reich Arzt und SS-Standartenführer, Leiter der Amtsgruppe III B „Volkstum und Volksgesundheit“ im Reichssicherheitshauptamt und Angehöriger der Einsatzgruppe V im deutsch besetzten Polen. Nach Entlassung aus der Internierungshaft war Ehlich wieder als Arzt tätig. Im Oktober 1948 wurde er als Mitglied der SS, die im Nürnberger Prozess zu einer verbrecherischen Organisation erklärt worden war, zu einem Jahr und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Da die Strafe durch die Internierungszeit als verbüßt galt, konnte Ehlich sich schließlich in Braunschweig wieder als praktischer Arzt niederlassen. Mehrere Ermittlungsverfahren in den sechziger Jahren führten letztlich nicht zu einer erneuten Anklage. Ehlich arbeitete und lebte so weiter in Braunschweig, wo er am 30. März 1991 starb.

4) Der Begriff Generalgouvernement bezeichnet Gebiete der früheren Zweiten Polnischen Republik, die 1939–1945 vom Deutschen Reich militärisch besetzt und nicht unmittelbar in dasReichsgebiet eingegliedert worden waren, sowie die dort errichteten Verwaltungsstrukturen unter dem Generalgouverneur und NSDAP-Funktionär Hans Frank und seines Stellvertreters Arthur Seyß-Inquart mit Sitz in Krakau. Es umfasste zunächst eine Fläche von 95.000 km² und wurde am 1. August 1941 um den zuvor sowjetischen Distrikt Galizien auf 142.000 km² erweitert.

5) Gemeint ist das Protektorat Böhmen und Mähren (tschech. Protektorát Čechy a Morava), eine formal autonome Verwaltungseinheit unter deutscher Herrschaft. Es wurde am 16. März 1939 proklamiert und völkerrechtswidrig als unmittelbares Reichsgebiet in das damalige Großdeutsche Reich einbezogen. De facto handelte es sich um eine Annexion, die bis zur deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945 Bestand hatte.

6) Carltheo Zeitschel eigentlich Carl-Theodor, auch Carl Theo, (* 13. März 1893; † möglicherweise 1945 (in Berlin verschollen)) war ein Arzt, Nationalsozialist und Diplomat, der in der deutschen Botschaft in Frankreich als Judenreferent die Deportation der Juden organisierte und vorantrieb.

Quelle: Götz Aly „Endlösung“ Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden

 
 

Terminvorschau

Alle Termine öffnen.

09.06.2024 Kommunal- und Europawahl
Wir stimmen über die Zusammensetzung des Ortsbeirats, der Orts-, Stadt- und Verbandsgemeinderäte sowie der Kreis …

SPD Ortsverein Rhaunen

Aktiv zum Wohle unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger
 
 

Aktuelle Nachrichten

DER SPIEGEL
Dreimal musste Robert Habeck bei seinem Ukraine-Besuch einen Luftschutzbunker aufsuchen, Russland intensiviert seine Angriffe. Der Vizekanzler fordert mehr Militärhilfe für das Land. Auch wenn er sich das vor zwei Jahren nicht habe vorstellen können.

Der Streit in der Ampel setzt Kanzler Scholz und der SPD schwer zu. Ein Treffen auf Norderney soll da zum Wohlfühltermin werden. Doch schon das massive Polizeiaufgebot zeigt: Der miesen Stimmung im Land können die Genossen nicht entrinnen.

Die tschechischen Behörden haben nach SPIEGEL-Informationen Videoaufnahmen, auf denen AfD-Funktionär Petr Bystron Pakete entgegennimmt. Weitere Indizien deuten darauf hin, dass er Geld aus moskautreuen Kanälen bekam.

Israel und Iran bemühen sich um Deeskalation. Der Kanzler und die Außenministerin betreiben vergeblich Krisendiplomatie. Und Julian Nagelsmann bleibt bis zur WM Bundestrainer. Das ist die Lage am Freitagabend.

Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder haben 24 Jahre lang nicht miteinander geredet. Jetzt sind beide 80 und nähern sich wieder an. Der frühere saarländische Ministerpräsident spricht erstmals über ihr kompliziertes Verhältnis.

Der Kanzler in China, die Außenministerin im Nahen Osten: Die Regierung macht Krisendiplomatie an den Brandherden der Welt, aber die Ergebnisse sind mager. Welche außenpolitische Bedeutung hat die Bundesrepublik noch?

Die Berliner Justizsenatorin und frühere Verfassungsschützerin Felor Badenberg macht der Bundesregierung scharfe Vorwürfe: Die Ampel erschwere den Sicherheitsbehörden die Arbeit.

Die Geschworenen im Prozess gegen Donald Trump stehen fest: Anklage und Verteidigung haben sich auf zwölf tatsächlich vollkommen unvoreingenommene Geschworene geeinigt.

Alle 18 Minuten eine Straftat von rechts: Die Gewaltbereitschaft unter Rechtsextremen ist seit Jahren hoch. Nun erreicht sie eine neue Spitze. Einen Einfluss könnte auch der Gazakrieg haben.

»Wir sind nicht wie die Nazis«: Beim Israelbesuch von Außenministerin Baerbock soll es hinter verschlossenen Türen zum heftigen Streit mit Regierungschef Netanyahu gekommen sein. Auslöser waren Bilder aus dem Gazastreifen.

Berichte über israelischen Angriff auf Ziele in Iran. Wer im Trump-Prozess die Wahrheit sagen muss. Was über Wladimir Putins festgenommene Spione bekannt ist. Das ist die Lage am Freitagmorgen.

Die Polizei hat zwei mutmaßliche Saboteure in Bayern festgenommen. Die Deutschrussen sollen für Russlands Geheimdienste Militäreinrichtungen ausgespäht haben - für mögliche Bombenanschläge. Eskaliert Moskaus Spionagekrieg?

WebSozis

Besucher:1176423
Heute:6
Online:1