Da habe ich mich redlich bemüht das aufkeimende Interesse meines 11-jährigen Enkels an unserem Wahlsystem aufzugreifen. So erläuterte ich ihm, dass, wer mehr als die Hälfte der Stimmen bei einer Wahl auf sich vereinigt, die absolute Mehrheit erringt. Diese Vereinfachung, oder besser diese Unschärfe meiner Aussage fällt jetzt, jede Autorität untergrabend, auf mich zurück. Plötzlich muss ich meinem Enkel kleinlaut erklären, 42 Prozent der Wählerstimmen hätten zur absoluten Mehrheit der Parlamentsitze bei der Bundestagswahl gereicht. Unausgesprochen war zu spüren: Opa, das weißt du also auch nicht.
Da animiert man den Bürger zur Wahl zu gehen. In fast 7 Millionen Fällen war dieser Appell für die Katz. Mehr als 15 Prozent der Zweitstimmen entfalten nicht die vom Wähler gewünschte Wirkung, sind verlorene Stimmen. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht schon 1952 entschieden, der Erfolgswert jeder Stimme habe gleich zu sein. Doch Pustekuchen! Das zweifelhafte an diesem Phänomen: Die freiwerdenden Parlamentssitze der Parteien die an der 5 Prozenthürde scheitern fallen proportional den Parteien zu, die den Sprung über die 5 Prozenthürde schaffen, also auch jenen Parteien, welche der Wähler explizit nicht unterstützen wollte.
Noch nie hat unser Wahlrecht, Mehrheitswahl bei der Erststimme, Verhältniswahl bei der für die Parlamentszusammensetzung wichtigen Zweitstimme, so viel Verfälschung des Wählerwillens bewirkt. Kein Wunder, dass nun wieder eine Diskussion über unser Wahlrecht losbricht.
Zur der Rechtfertigung der 5 Prozentklausel werden die schmerzlichen Erfahrungen aus der Zeit der Weimarer Republik bemüht. Damals führte die Parteienzersplitterung zur Destabilisierung der jungen Demokratie. Die Folgen sind bekannt. Daher soll ja der Sinn einer Sperrklausel nicht rundweg in Frage gestellt werden.
Aber ist die 5 Prozent-Marke noch zeitgemäß?
Bei Kommunalwahlen wie auch bei der Europawahl ist diese Hürde längst gekippt und es ist nichts Tragisches passiert.
Der Wille von 6.85 Millionen Bürgern fiel bei dieser Wahl unter den Tisch. Dies ist so, als hätte ein Bundesland von der Größe Niedersachsens überhaupt nicht an der Wahl teilgenommen. Betrachtet man dann noch die 17,6 Millionen Nichtwähler, so sind schon Zweifel angebracht, wie weit das Wahlergebnis die tatsächliche Stimmung in unserem Lande widerspiegelt.
Aber gewählt ist gewählt, wir als SPD müssen versuchen aus unserem bescheidenen Erfolg das Bestmögliche zu machen.
So ein wenig erinnert mich das augenblickliche Taktieren und Lavieren der Parteien beim Versuch Koalitionen zu schmieden an einen alten Witz:
Eine Henne steht auf dem Bahnsteig und wartet auf das Einfahren ihres Zuges. Ein stolzer Hahn nähert sich der Henne mit eindeutigen Absichten.
Drei Gedanken schießen der Henne durch den Kopf.
1. Bleib ich einfach stehen, hält der mich für ein Flittchen.
2. Lauf ich weg, bringe ich mich um den Spaß.
3. Also was soll`s, ich deute an zu fliehen und stolpere.
Im Übrigen, die Verantwortung eine handlungsfähige Regierung zu bilden obliegt allen gewählten Volksvertretern. Nicht taktische Vorteile der Parteien stehen im Vordergrund, es geht einzig um das Wohl des Landes. Obstruktion wird vom Wähler spätestens bei der nächsten Wahl gnadenlos abgestraft, zurecht.
In diesem Sinne, warten wir ab was passiert.
Rudi Röper