Gegen das Vergessen; nie wieder!

Veröffentlicht am 11.05.2015 in Allgemein

Reimut Schmitt (Berlin)

Arbeiten bis zum Tod (Teil 1)

Jahrelang hatte man sich nicht darüber einigen können, ob man die Arbeitskraft der Juden für das Reich nutzen oder sich der Juden lieber ganz entledigen sollte. Auf der Wannseekonferenz im Januar 1942 unterbreitet Reinhard Heydrich einen Vorschlag, wie man diese beiden scheinbar unvereinbaren Ziele in Einklang bringen könne: Man müsse nur dafür sorgen, dass die Juden sich zu Tode arbeiteten.

Doch vor allem, nachdem Himmler die Ermordung der Juden im Generalgouvernement angeordnet hatte, gerieten diese beiden Zielsetzungen in der Praxis immer wieder in Konflikt. Wie Leutnant Battel in Przemysl erlebte, wurden nach wie vor arbeitsfähige Juden nach Belzec in den Tod geschickt.

Im Frühjahr 1943 war Himmler klar, dass es im gesamten Reichsgebiet nur einen Ort gab, an dem sich die beiden Ziele Arbeit und Vernichtung perfekt vereinbaren ließen: Auschwitz. Damit wurden die neuen Tötungsanlagen in Birkenau zum Zentrum eines riesigen halbindustriellen Lagerkomplexes. Hier konnte man die selektierten Juden zunächst in eines der zahlreichen nahe gelegenen Nebenlager zum Arbeitseinsatz schicken, um sie einige Monate später, wenn sie halbtot geschunden waren, „auszusortieren“ und in den nur wenige Kilometer entfernten Vernichtungsanlagen von Auschwitz-Birkenau umzubringen.

Nicht nur aus ideologischen, sondern auch aus praktischen Gründen bot Auschwitz für Himmlers Vorhaben ideale Voraussetzungen. Das Lagersystem versprach ein hohes Maß an Flexibilität: Je nach Arbeitskräftebedarf konnte man die Kriterien für die „Arbeitsfähigkeit“ der Insassen beliebig variieren. Und was angesichts der Ereignisse in Warschau (Aufstand im Ghetto) vielleicht noch wichtiger war: Die SS konnte innerhalb des Lagerkomplexes einen weit höheren Grad an Kontrolle gewährleisten, als es in den Ghettos möglich war.

Es gab 28 zu Auschwitz gehörende Nebenlager, die sich in unmittelbarer Nähe verschiedenster, in ganz Oberschlesien verstreuter Industrieanlagen befanden: vom Zementwerk Golleschau bis zur Rüstungsfabrik Eintrachthütte, vom Kraftwerk Energieversorgung Oberschlesien bis zu den Buna-Werken der I.G.Farben, für das man eigens das riesige Arbeitslager Monowitz eingerichtet hatte. Dort waren bis zu 10000 Häftlinge untergebracht. 1944 wurden über 40000 Lagerhäftlinge in den oberschlesischen Industriebetrieben als Zwangsarbeiter eingesetzt. Man schätzt, dass Auschwitz dem deutschen Reich einen Reingewinn von rund 30 Millionen Reichsmark einbrachte, indem es Zwangsarbeit an Privatunternehmen verkaufte.

In den Nebenlagern herrschten oft ebenso menschenunwürdige Verhältnisse wie im Stammlager Auschwitz oder in Auschwitz-Birkenau. Besonders berüchtigt war das bei einem Kohlenbergwerk errichtete Lager Fürstengrube. Benjamin Jacobs wurde im Frühherbst 1943 zum Arbeitseinsatz nach Fürstengrube geschickt, was normalerweise einem Todesurteil gleichkam. Die Lebenserwartung in den Kohlenbergwerken rings um Auschwitz ließ sich in Wochen bemessen. Doch Jacobs besaß Kennnisse, die ihm das Leben retteten: Er hatte eine zahlmedizinische Ausbildung. Seine Geschichte verdeutlicht, mit welcher Menschenverachtung die Nationalsozialisten die Juden vor und sogar nach ihrem Tod ausbeuteten.

Dank seiner zahnmedizinischen Kenntnisse durfte Benjamin Jacobs seine Mitgefangenen und später sogar führende SS-Leute behandeln: „Ich kümmerte mich um SS-Führer, Ärzte und andere hohe Tiere im Lager, und sie waren wirklich hilfsbereit. Wenn sie zu mir kamen, waren sie richtig nette. Meistens brachten sie etwas Brot oder Wodka mit. Sie ließen die Sachen einfach da. Sie schenkten sie mir nicht ausdrücklich, sondern ließen sie „aus Versehen“ auf dem Stuhl liegen. Und so kam ich an bessere Essen… Ich hatte wirklich das Gefühl, dass sie mich besser behandelten. Und das machte mich stolz. Ich war schon in eine ziemlich privilegierten Position.“ Nur einmal habe ihm seine Aufgabe als Lagerzahnarzt zu schaffen gemacht, sag Benjamin Jacobs. Man habe ihm befohlen, toten Lagerinsassen die Goldzähne zu entfernen. Er musste in einen Raum gehen, in dem die Leichen der Häftlinge lagen, die während der Arbeit erschossen worden oder im Bergwerk umgekommen waren. Dort habe er „Unglaubliches“ zu Gesicht bekommen, berichtet Benjamin Jacobs. Die Toten hätten „grotesk“ ausgesehen. Er musste sich dicht neben die Leichen knien und ihnen „mit Gewalt den Mund öffnen“. Jedes mal, wenn er ihnen mit einem speziellen Instrument Ober- und Unterkiefer auseinanderdrückte, gab es ein „knackendes Geräusch“. Sobald Jacobs den geöffneten Mund des Toten fixiert hatte, zog er die Goldzähne: „Das war wirklich nichts, worauf ich stolz sein könnte. Aber ich war damals völlig gefühllos. Ich wollte überleben. Auch wenn dieses Lebern nicht gerade angenehm war, hat man sich doch daran geklammert.“

Quelle: Laurence Rees „Auschwitz – Geschichte eines Verbrechens“ und Wikipedia

 
 

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