Gegen das Vergessen;nie wieder!

Veröffentlicht am 10.06.2015 in Allgemein

Reimut Schmitt (Berlin)

Die Schuld der Ärzte (Teil 1)

Um zu verstehen, weshalb die Ärzte in Auschwitz in keinerlei Gewissensnöte gerieten, muss man wissen, dass die Beteiligung von Medizinern am Massenmord schon lange fester Bestandteil nationalsozialistischer Politik war. Seit der Machtergreifung 1933 verfocht die nationalsozialistische Führung die Idee, dass bestimmte „Rassen“, ja sogar bestimmte Individuen, ein größeres „Lebensrecht“ genossen als andere.

Welche praktischen Folgen eine solche Auffassung hatte, zeigte sich in der Einführung der Zwangssterilisation für geistig Behinderte in den dreißiger Jahren.

Auf die Verbindungen zwischen dem Euthanasieprogramm, das die Nationalsozialisten im Herbst 1939 einleiteten, und dem Führungspersonal der Todeslager der „Aktion Reinhard“ wurde bereits hingewiesen. Wirth 1) und Stangl 2), die Pioniere jener Vernichtungslager, hatten sich beide zu Beginn ihrer blutigen Karrieren an der Ermordung Behinderter beteiligt. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die Selektion im Rahmen des Euthanasieprogramms von Ärzten durchgeführt wurde – eine Praxis, die sich in Auschwitz fortsetzte. Damit war die Verquickung von Medizin und Massenmord bereits in einer Ideologie angelegt, die die Beseitigung „unwerten Lebens“ zur höchsten Pflicht der Ärzteschaft erhob. Dieser perversen Logik war es auch zu verdanken, dass ein praktische Arzt, Dr. Eberl 3), Kommandant des Vernichtungslagers Treblinka werden konnte, ohne dass dies irgendjemand befremdet hätte.

Zu dem Zeitpunkt, als Eberl seine Arbeit in Treblinka aufnahm, hatte man natürlich den Begriff des „lebensunwerten Lebens“ bereits auf die Juden ausgedehnt. In ihrem Versuch, die Ermordung der Juden zu rechtfertigen, griffen die SS-Ärzte auf die frühe Propagandalüge der Nationalsozialisten zurück, die besagte, dass die Juden einen verderblichen Einfluss auf das Gemeinwesen hätten. „Natürlich bin ich Arzt, und ich will Leben erhalten“ sagt der ehemalige SS-Arzt Fritz Klein 4). „Aus Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben würde ich einen eiternden Blinddarm aus einem kranken Körper entfernen. Der Jude ist der eiternde Blinddarm im Körper der Menschheit.“

1) Christian Wirth (geboren am 24. November 1885 – gestorben am 26. Mai 1944 in Slowenien) war ein deutscher Polizeibeamter und SS-Sturmbannführer, der maßgeblich an der „Aktion T4“ beteiligt, erster Kommandant des Vernichtungslagers Belzec, und Inspekteur der Vernichtungslager der „Aktion Reinhardt“ war. Christian Wirth gilt als Beispiel für einen besonders brutalen und unbarmherzigen SS-Mann, der auch von seinen eigenen Leuten gefürchtet wurde. Hiervon zeugen die Beinamen, die ihm von seinen untergebenen SS-Männern gegeben wurden: „Christian der Grausame“, „Der wilde Christian“ und „Stuka“ für Sturzkampfflugzeug. Dieses Bild entstand vor allem aus den Nachkriegsaussagen seiner Untergebenen, die in ihren Gerichtsverfahren davon überzeugen wollten, dass sie sich in einem Befehlsnotstand befanden. Es ist aber z. B. ungeklärt, ob nicht Wirths eigene Leute den tödlichen Schuss in seinen Rücken abfeuerten. Ohne Zweifel war Wirth ein gefürchteter Vorgesetzter: Dazu trug seine sehr direkte und häufig derbe, zudem von Dialektausdrücken durchsetzte Wortwahl bei. Gleichermaßen ging er bei der „Aktion T4“, der „Aktion Reinhardt“ wie auch in Triest gegen Unregelmäßigkeiten in den eigenen Reihen vor, insbesondere gegen die Unterschlagung der Wertgegenstände, die den Mordopfern abgenommenen worden waren. Aufschlussreich sind die Aussagen des SS-Richters Konrad Morgen im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess: Morgen schilderte Wirth als einen Mann, der ebenso stolz war auf seine Erfahrungen aus der „Aktion T4“ wie auch auf seinen Beitrag zur „Optimierung“ der Massenmorde der „Aktion Reinhardt“. Am 26. Mai 1944 fand Christian Wirth bei einer Fahrt auf der Straße von Triest nach Rijeka den Tod bei einem Überfall von Partisanen.

2) Franz Paul Stangl (* 26. März 1908 in Altmünster; † 28. Juni 1971 in Düsseldorf) war ein österreichischer Verwaltungsleiter in der NS-Tötungsanstalt Hartheim und der NS-Tötungsanstalt Bernburg sowie Lagerkommandant der Vernichtungslager Sobibor und Treblinka. Als SS-Mitglied internierte ihn das US-Militär 1945 im Lager Glasenbach, wobei zu diesem Zeitpunkt von seiner Rolle in den Vernichtungsstätten noch nichts bekannt war. Nach zweieinhalb Jahren übergab man Stangl 1947 an Österreich, wo er in Linz auf Grund seiner Beteiligung an der „Aktion T4“ in Untersuchungshaft kam. 1948 begann in Linz der Hartheim-Prozess. Als Stangl von seiner Frau erfuhr, dass ein ehemaliger Fahrer des Hartheim-Personals zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde, floh er am 30. Mai 1948 auf Drängen seiner Frau mit Gustav Wagner aus dem mehr oder weniger offenen Untersuchungsgefängnis. Bei seiner Flucht nutzte er zu Fuß eine der Rattenlinien über Graz, Meran und Florenz nach Rom. Bischof Alois Hudal besorgte ihm einen Pass des Roten Kreuzes und ein Visum. Stangl gelang es, 1948 nach Syrien zu entkommen. Er war in Damaskus in einer ihm von Hudal vermittelten Firma als Weber, ab Dezember 1949 als Maschinentechniker bei der „Imperial Knitting Company“ tätig. Im Mai 1949 ließ er seine Familie nachkommen. 1951 emigrierten die Stangls nach São Paulo in Brasilien, wo er zunächst wiederum als Weber in der brasilianischen Textilfirma Sutema und später als Ingenieur arbeitete. Bereits zwei Monate nach ihrer Ankunft in Brasilien bauten sich die Stangls ein kleines Haus in São Bernardo do Campo. Frau Theresa Stangl fand Arbeit in der Buchhaltung bei Mercedes-Benz. Ein Arbeitskollege konnte ihrem Mann im Oktober 1959 eine Stelle bei Volkswagen do Brasil vermitteln. 1965 bezogen die Stangls dann ein neues größeres Haus im Stadtteil Brooklin von São Paulo und lebten dort, angemeldet beim österreichischen Konsulat, unter ihrem richtigen Namen. Erst 1961 erschien Stangls Name auf der Fahndungsliste der österreichischen Kriminalpolizei, obwohl man wusste, dass er für den Tod von nahezu einer Million Menschen mitverantwortlich war. Auf Betreiben von Simon Wiesenthal verhafteten die brasilianischen Behörden Stangl am 28. Februar 1967. Daraufhin erfolgte am 23. Juni 1967 die Auslieferung an die Bundesrepublik Deutschland. Der Prozess begann am 13. Mai 1970. DasLandgericht Düsseldorf verurteilte ihn am 22. Dezember 1970 in einem der Treblinka-Prozesse wegen gemeinschaftlichen Mordes an mindestens 400.000 Juden zu lebenslanger Haft. Stangl legte gegen das Urteil Revision ein, verstarb jedoch am 28. Juni 1971 in der Haftanstalt an Herzversagen.

3) Irmfried Eberl (* 8. September 1910 in Bregenz, Österreich-Ungarn; † 16. Februar 1948 in Ulm) war als Arzt von 1940 bis 1942 medizinischer Leiter der Tötungsanstalten Brandenburg und Bernburg im Rahmen der Aktion T4und anschließend im Sommer 1942 erster Leiter des Vernichtungslagers Treblinka im Rahmen der Aktion Reinhardt. Nach dem Krieg ließ sich Eberl als Arzt im schwäbischen Blaubeuren nieder, wo er zunächst ungestört praktizieren konnte. Im Sommer 1947 wurde dieGeneralstaatsanwaltschaft Stuttgart von den amerikanischen Militärbehörden auf einen in Blaubeuren niedergelassenen Arzt mit dem Namen des ehemaligen Leiters der „Euthanasie“-Anstalt Bernburg aufmerksam gemacht. Eine Vernehmung Eberls durch amerikanische und deutsche Dienststellen brachte keine Aufklärung. Nach Kontaktaufnahme mit der Staatsanwaltschaft im sowjetisch besetzten Bernburg bat diese am 30. Dezember 1947 um die Verhaftung von Eberl. Er kam am 8. Januar 1948 in Untersuchungshaft für die amerikanische Militärregierung. Eine Klärung seiner Identität war jedoch nicht möglich. Bei der Vernehmung einer in der „Euthanasie“-Anstalt Grafeneck tätigen Schwester durch das Landeskriminalpolizeiamt Tübingen am 9. Februar 1948 erkannte diese auf einer ihr vorgelegten Fotografie Eberl. Als Eberl am 15. Februar 1948 von einem Mitgefangenen auf das 1946 erschienene Buch „Der SS-Staat“ von Eugen Kogon und den darin erwähnten gleichnamigen Arzt angesprochen wurde, entschloss sich Eberl wohl zum Suizid, den er am nächsten Tag, den 16. Februar 1948, durch Erhängen in seiner Gefängniszelle in Ulm ausführte. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Ermittlungsbehörden immer noch keine Kenntnis von der wahren Identität des toten Untersuchungsgefangenen.

4) Fritz Klein (* 24. November 1888 in Feketehalom, Österreich-Ungarn, heute Rumänien; † 13. Dezember 1945 in Hameln) war ein rumäniendeutscher KZ-Arzt. Fritz Klein war ein sogenannter Volksdeutscher, der an der Universität Budapest promoviert wurde und von 1939 bis 1943 als Leutnantarzt in der rumänischen Armee diente. Da Volksdeutsche wegen der ausländischen Staatsangehörigkeit nicht zur Wehrmacht eingezogen wurden, wurde er, wie es in seiner Personalakte heißt, am 26. Mai 1943 „vorläufig“ in dieWaffen-SS übernommen. In einem „vorläufigen Dienstverhältnis“ wurde er als Truppenarzt in das KZ Auschwitz-Birkenau abkommandiert und im Frauenlager, im „Zigeunerlager“ und im „Familienlager“ der Juden eingesetzt. Dort führte er unter anderem die Selektionen für die Gaskammern durch. Mit Beginn der „Evakuierung“ des KZ Auschwitz kam er Ende Januar 1945 mit den Todesmärschen in das KZ Bergen-Belsen. Er wurde vom 10. Februar bis Mitte März 1945 im KZ Neuengamme eingesetzt, kam jedoch noch vor der Befreiung zurück nach Bergen-Belsen. Klein war einer der wenigen, die nicht flüchteten, sondern zusammen mit dem Kommandanten Josef Kramer die Ankunft der britischen Truppen erwarteten und das Lager übergaben. Klein erscheint in keiner der vom SS-Personalhauptamt gedruckten (vollständigen) „SS-Dienstalterslisten“ (Offizierslisten der Allgemeinen und Waffen-SS), obwohl er zweifellos als Volksdeutscher zu den auch in Konzentrationslagern eingesetzten Männern des dortigen „Wachsturmbannes“ gehörte. Er wurde von einem britischen Militärgericht im Bergen-Belsen-Prozess, der vom 17. September bis 16. November 1945 in Lüneburg stattfand,zum Tode verurteilt und am 13. Dezember 1945 im Zuchthaus Hameln gehängt.

Quelle: Laurence Rees „Auschwitz – Geschichte eines Verbrechens“ und Wikipedia

 
 

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