Gegen das Vergessen; nie wieder!

Veröffentlicht am 07.09.2015 in Allgemein

Reimut Schmitt (Berlin)

Das Leid der Frauen

Mengele 1) war in vieler Hinsicht der Prototyp des SS-Führers in Auschwitz. Der stets perfekt gekleidete Arzt empfand für die Lagerinsassen nichts als Verachtung. Jede Form des vertrauten Umgangs mit den Gefangenen wäre ihm zuwider gewesen, allein der Gedanke an sexuellen Kontakt unvorstellbar. Diese Haltung stand in völligem Einklang mit der nationalsozialistischen Ideologie, denn nach der deutschen „Rassenlehre“ stellten die Lagerinsassen eine Gefahr für die Volksgesundheit dar, weshalb sexuelle Beziehungen zwischen SS-Angehörigen und Häftlingen ausdrücklich verboten waren.

Wer gegen dieses Verbot verstieß, beging „Rassenschande“. Tatsächlich bestand einer der Unterschiede zwischen den Greueltaten der Nationalsozialisten und vielen anderen Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert in der klaren Ablehnung sexueller Gewalt – nicht aus Menschlichkeit, sondern aus ideologischen Gründen. Sexuelle Gewalt gegen Frauen des „Feindes“ war in vielen Kriegen an der Tagesordnung gewesen: Man denke nur an das türkische Massaker an den Armeniern im Ersten Weltkrieg, den japanischen Eroberungskrieg in China Anfang der dreißiger Jahre oder den serbischen Angriffskrieg gegen Bosnien in den neunziger Jahren. Die bosnischen Vergewaltigungslager, die Verschleppung christlicher Armenierinnen in Harems und die chinesischen Zwangsprostituierten in der japanischen Armee sind nur einige von zahlreichen Beispielen für männliche sexuelle Gewalt. Doch für die Nationalsozialisten war der Konflikt im Osten eine besondere Art von Krieg. Während es auf den Kanalinseln oder in Frankreich durchaus vorkam, dass deutsche Soldaten Beziehungen zu einheimischen Frauen unterhielten, sahen die Deutschen in der jüdischen und slawischen Bevölkerung im Osten eine Bedrohung ihrer „Rasseneinheit“. Die nationalsozialistische Propaganda erklärte es zu einer der höchsten Pflichten jedes Soldaten, die „Reinheit des deutschen Bluts“ zu erhalten. Slawinnen und Jüdinnen (besonders Letztere) waren daher absolut tabu. Man hatte sogar vor dem Krieg ein Gesetz erlassen, das die Ehe zwischen Juden und Nichtjuden untersagte.

All dies bedeutete, dass es in Auschwitz keine sexuelle Beziehungen zwischen Angehörigen der SS und jüdischen Häftlingen hätte geben dürfen. Wären es eine heilige ideologischen Pflicht war Jüdinnen zu töten, war es ein Verbrechen, mit ihnen zu schlafen. Allerdings räumt Oskar Gröning 2) ein: „Wenn die privaten Interessen stärker sind als die Einstellung gegenüber dem jüdischen Volk in seiner Gesamtheit – na, dann kann so etwas schon passieren. Wenn man tagtäglich 20 junge Frauen beaufsichtigt und für eine von ihnen eine besondere Sympathie hat, eine, die einem den Kaffee kocht und so etwas, dann sind diese Dinge, diese Propagandageschichten nicht mehr wichtig…“ Und so wunderte es Gröning nicht, dass SS-Angehörige, die weibliche Gefangene beaufsichtigen, mit diesen Zärtlichkeiten austauschten „oder sie zum Geschlechtsverkehr zwangen“.

Für SS-Männer, die bereit waren, ihre ideologischen Überzeugungen über Bord zu werden, um sich ihre sexuelle Befriedigung gewaltsam zu holen, war „Kanada“ 3) das ideale Terrain. Die meisten Frauen in Auschwitz hatten kahlrasierte Schädel, waren unterernährt und anfällig für Krankheiten. Dagegen waren die Arbeiterinnen in „Kanada“ dank der Lebensmittel, die sie unter den fremden Besitztümern fanden, nicht nur relativ gut genährt, sondern sie durften sich auch die Haare wachsen lassen. Hinzu kam, dass die SS-Männer in den Sortierbaracken ein und ausgingen, nicht nur, um sie zu beaufsichtigen, sondern auch um Wertsachen zu stehlen. Daher waren Vergewaltigungen in „Kanada“ keine Seltenheit, wie Linda Breder bestätigt: „Als wir nach ‚Kanada‘ kamen, gab es dort kein fließendes Wasser. Aber dann ließ der zuständige SS-Führer von ‚Kanada‘ hinter dem Gebäude Duschen bauen. Obwohl das Wasser eiskalt war, konnte ich mich nun regelmäßig waschen. Einmal ging ein Mädchen aus Bratislava duschen. Sie war eine hübsche Frau, kein bisschen mager. Und dann kam ein SS-Führer und missbrauchte sie in der Dusche – er vergewaltigte sie. Der SS-Mann wurde nicht bestraft, sondern lediglich aus „Kanada“ versetzt. Ein weiterer SS-Mann, von dem man wusste, dass er mit jüdischen Gefangenen Sex gehabt hatte, wurde ebenfalls sehr milde behandelt: Er wurde zunächst verhaftet, aber höchstwahrscheinlich dank seiner guten Beziehungen zur Lagerleitung nicht bestraft, sondern lediglich in ein Nebenlager versetzt.

Es kam auch zu Vergewaltigungen in einem Bereich Birkenaus, in dem die Frauen ihre eigene Kleidung tragen durften und sich den Kopf nicht rasieren mussten. Es war das sogenannte Familienlager, ein abgetrenntes, eingezäunter Areal, in dem seit September 1943 Juden aus dem Ghetto Theresienstadt untergebracht waren. Rund 18000 Männer, Frauen und Kinder waren hier inhaftiert, bis man das Lager im Juli 1944 schließlich auflöste. Diese Juden waren bei ihrer Ankunft der Selektion entgangen, da die Nationalsozialisten sie für „Propagandazwecke“ einzusetzen gedachten. Man befahl ihnen, Postkarten nach Hause zu schreiben, auf denen sie von ihrer guten Behandlung berichten sollten,. Mit dieser Maßnahme wollte man Gerüchte zerstreuen, dass Auschwitz ein Vernichtungslager sei. Anders als im Zigeunerlager waren im Familienlager die Männer und Jungen getrennt von den Frauen und Mädchen untergebracht.

Ruth Elias gehörte zu den Gefangenen, die in den Frauenbaracken des Familienlagers lebten. Zweimal hatte sie beobachtet, wie betrunkene SS-Männer Frauen aus den Baracken holten: „Die Mädchen kamen weinend zurück. Man hatte sie vergewaltigt. Sie waren in einer furchtbaren Verfassung“.

Die Tatsache, dass Angehörige der SS in Auschwitz jüdische Frauen vergewaltigten, ist bei näherer Betrachtung, wenn auch schrecklich, so doch nicht verwunderlich. Die SS hatte diese Frauen in ihrer Gewalt und ging davon aus, dass sie früher oder später umgebracht würden. Der Alkohol und die Gewissheit, dass das Verbrechen unentdeckt bleiben würde, fegten etwaige ideologische Bedenken hinweg.

1) Josef Mengele (* 16. März 1911 in Günzburg; † 7. Februar 1979 in Bertioga, Brasilien) war ein deutscher Mediziner und Anthropologe. Er wurde 1937 Assistent des Erbbiologen und Rassenhygienikers Otmar von Verschuer und meldete sich 1940 freiwillig zur Waffen-SS. Nach einem Fronteinsatz als Truppenarzt bei der 5. SS-Panzer-Division „Wiking“ wurde Mengele von Mai 1943 bis Januar 1945 als Lagerarzt im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz eingesetzt. In dieser Funktion nahm er Selektionen vor, überwachte die Vergasung der Opfer und führte menschenverachtende medizinische Experimente an Häftlingen durch. Er sammelte Material und betrieb Studien zur Zwillingsforschung, zu Wachstumsanomalien, zu Methoden der Unfruchtbarmachung von Menschen und Transplantation von Knochenmark sowie zur Therapie von Fleckfieber und Malaria. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde er zwar als NS-Kriegsverbrecher gesucht, aber nie gefasst. Er starb 1979 im brasilianischen Badeort Bertioga. Mengele ertrank, als er beim Schwimmen im Meer einen Schlaganfall erlitt. 1985 wurden im Zuge einer intensivierten Fahndung seine unter falschem Namen beerdigten Gebeine entdeckt und identifiziert. Mengele rückte erst während der frühen 1960er Jahre im Zuge der Ermittlungen zu den Auschwitzprozessen ins engere Blickfeld der Strafverfolger. Zuvor hatte er bereits einige Jahre unter seinem echten Namen ungestört in Argentinien gelebt. Seine weitere Flucht über Paraguay nach Brasilien gab zu unzähligen Spekulationen und Legendenbildungen Anlass, konnte aber erst nach der Entdeckung seiner Leiche aufgeklärt werden.

2) Oskar Gröning (geb. 1921, ein Todesdatum war nicht zu finden, d.h. er ist heute 93 Jahre alt.) war ein deutscher SS-Rottenführer im Konzentrationslager Auschwitz . Während seiner Jugend war er Mitglied in verschiedenen nationalistischen Jugendbewegungen, einschließlich Hitler-Jugend. 1939 trat er in der Waffen-SS bei. Seine Karriere in der SS und erreichte ihren Höhepunkt durch die Zuordnung zu Auschwitz. Seine Verantwortlichkeiten umfassen das Sortieren und Zählen von Geld von Gefangenen. Während seines Aufenthalts in Auschwitz erlebt er die ganzen Vernichtungsprozesse der Nazis. 1944 wurde er zu einer aktive Einheit versetzt und geriet 1945 in britische Gefangenschaft. 1947 nach Deutschland zurückgekehrt führte er ein relativ normales Leben. Gröning sagte, dass die Schreie derer, die in den Gaskammern umgekommen sind, ihn nie verlassen. Er sagt, er fühlt sich schuldig gegenüber dem jüdischen Volk. Er bat um Vergebung von Gott und dem jüdischen Volk.

3) « Kanada » wurde der Bereich genannt, in dem die Habseligkeiten der Gefangenen, die man ihnen bei der Selektion abgenommen hatte, sortiert und registriert wurden.

Quelle: Laurence Rees „Auschwitz – Geschichte eines Verbrechens“ und Wikipedia

 
 

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